Was angehende Lehrer (nicht) über Ökonomie lernen

Was angehende Lehrer (nicht) über Ökonomie lernen

Das Land NRW führt im neuen Schuljahr flächendeckend das Schulfach Wirtschaft ein. Doch wer wird dieses Fach unterrichten? Vermittelt das klassische Lehramtsstudium überhaupt genügend ökonomische Kenntnisse? Ein persönlicher Erlebnisbericht von WirtschaftsWoche-Volontär Philipp Frohn, der einst Lehrer werden wollte.

„Ökonomie: Das ist eine Wissenschaft mit Hand und Fuß!“, strotzte unser VWL-Professor an der Universität Duisburg-Essen, als wir 2013 als junge Studierende der Sozialwissenschaften zu Studienbeginn unsere Fakultätsleiter kennenlernten. Er warf seinen daneben sitzenden Kollegen von der politologischen und soziologischen Fakultät einen Blick zu, um dann noch einen drauf zu setzen: Die Ökonomie setze sich allein dadurch von anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen ab, dass sie kein bloßes „Laberfach“ sei. Die Lacher hatte er schon mal auf seiner Seite.

Das Problem allerdings war: Es dauerte danach ein volles Jahr bis wir die gepriesene Welt der Ökonomie kennenlernen durften. Denn anders als im BWL- oder Germanistikstudium studieren angehende Lehrer zwei Fächer plus Bildungswissenschaften. Bei mir waren es Deutsch und eben Sozialwissenschaften. Das heißt: sehr viel Stoff in sehr wenig Zeit. Als Lehramtsstudent hat man gefühlt von allem etwas gehört, kann aber nichts so richtig. Viele wichtige Themenbereiche werden nur gestreift, und das gilt leider auch für die Ökonomie.

In meinem Fall war es ein Crashkurs über volks- und betriebswirtschaftliche Themen wie die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, makroökonomische Denkschulen wie Neoklassik und Keynesianismus und die Staatsverschuldung. Nur drei Seminare während des 10-semestrigen Studiums hielt unsere Ruhrgebiets-Uni für unsere ökonomische Expertenwerdung vor. Es war nicht mehr als ein schneller Ritt durch die Grundpfeiler der Ökonomie. Anders an der Universität Münster, wo Studierende mit späterer Befähigung fürs Fach Sozialwissenschaften tatsächlich zwischen einem politologischen, einem soziologischen und eben einem ökonomischen Profil wählen können.

Jede Hochschule hat ihr eigenes Konzept, doch das Beispiel Münster bleibt eine rühmliche Ausnahme. Andernorts bekommen angehende Lehrer im Prinzip die Erlaubnis, Schüler zum halbgaren ökonomischen Sachverstand zu führen, wenn sie sich durch eine 90-minütige Klausur gepfuscht und durch eine schriftliche Hausarbeit gequält haben.

Intellektuelles Minimum
Im Bewusstsein, dass das Gros der Sowi-Studierenden schon Schnappatmung beim bloßen Anblick mathematischer Formeln bekommt, senkte unser Professor das Niveau auf ein belustigendes intellektuelles Minimum. Die Nutzen- und Grenzkostentheorie erläuterte er uns am Beispiel von Bier und Kinobesuchen. Die studentische Lebensrealität war also Anschauungsbeispiel, um uns Mikroökonomie näherzubringen. Natürlich lernten wir auch, wie man den Exportanteil oder Staatsausgaben mittels Gleichungen berechnet. Über den Charakter einer stark von der komplexen Realität abgekoppelten Textaufgabe gingen die Beispielrechnungen allerdings nicht hinaus. Wahrscheinlich zum Vorteil unserer Noten.

Nach einer Legende, die uns schaudern ließ, saßen früher die Lehramtsstudierenden gemeinsam mit den VWLern in den Hörsälen und schrieben dieselben Klausuren. Wäre das zu meinen Uni-Zeiten so gewesen, wäre eine ganze Kohorte junger Menschen an kognitiver Überforderung zusammengebrochen. Denn von der inhaltlichen Bandbreite her überstiegen die Studieninhalte den Wirtschaftsteil meines Leistungskurses Sozialwissenschaften in der Oberstufe nicht wirklich. Alles blieb auf einem recht basalen Niveau.

Ausgerechnet im schmalen VWL-Anteil des Sowi-Studiums wurde jedoch das umgesetzt, was im Lehramtsstudium sonst ironischerweise oft zu kurz kommt: der schulische Bezug. Unsere Dozenten bemühten sich sehr, möglichst viel Didaktik einzubringen und die Inhalte an unsere spätere Lehrtätigkeit anzupassen. Spitzfindigkeiten der Geldpolitik – würde der gemeine Lehramtsstudent sie überhaupt begreifen – finden im Unterricht nun mal selten Einzug.

Nicht mehr als das kleine Einmaleins
Dafür avancierte das so genannte Kontroversitätsgebot zum Mantra unserer Ausbildung. Es ist Teil des Beutelsbacher Konsens‘, der Lehrern im Fach Sozialwissenschaften Leitlinien für professionellen und ausgewogenen Unterricht vorgibt. Das Kontroversitätsgebot beispielsweise besagt, dass alles, was in der Gesellschaft kritisch diskutiert wird, auch in der Schule kritisch zu diskutieren sei. Lehrer dürfen also keine Sichtweise privilegiert darstellen, sondern müssen für eine ausgeprägte Debattenkultur sorgen.

Unser Professor erklärte die griechische Staatsschuldenkrise zum integralen Bestandteil seines Seminars. Wir besuchten es zu einer Zeit, als sich Politiker und Ökonomen über das Für und Wider der Griechenland-Rettung stritten. Das Problem: Wie sollen Lehrer mangelnde Kontroversität erkennen, wenn ihnen die fachliche Weitsicht fehlt?

Die beste Didaktik bringt relativ wenig, wenn das Fachliche unterrepräsentiert bleibt. Wie soll ich mich als Lehrer ohne fundierte ökonomische Kenntnisse in ideologisch aufgeladenen Debatten zurechtfinden? Wie soll ich die von linken Politikern wie US-Demokrat Bernie Sanders gehypte Modern Monetary Theory bewerten, wenn ich kein Verständnis dafür habe, welche Folgen eine ungedrosselte Inflation haben kann?

Der Wirtschaftsanteil im Lehramtsstudium war und ist so gering, dass er nicht befähigt, wirtschaftliche Fakten und Phänomene zu bewerten, die dem kleinen Einmaleins der Ökonomie entwachsen sind. Und schon gar nicht, diese Inhalte kritisch reflektiert an Schüler weiterzugeben.

Unser Professor von damals scheint das gewusst zu haben: Er empfahl uns, regelmäßig die Wirtschaftspresse zu lesen.

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