Onlinestudium: Lernen auf eigenes Risiko

Onlinestudium: Lernen auf eigenes Risiko

Wer die Tücken des ersten Corona-Semesters selbst erlebt hat, weiß: Studierende brauchen vor allem Eigeninitiative, um im Onlinestudium zu bestehen. Dieser Erfahrungsbericht gibt Tipps, wie das auch in Zukunft gelingt.

Als mein erstes Onlinesemester begann, wusste ich gar nicht, was sich hinter dem Wort verbirgt. In unseren Postfächern landete am 28. Februar eine Rundmail der Universitätsverantwortlichen. Der Betreff: „Auswirkungen der Corona-Pandemie“. Derzeit sei der Betrieb auf dem Campus nicht beeinträchtigt, hieß es darin. Nur für Reisende aus Risikogebieten gab es die Empfehlung, den Campus für zwei Wochen zu meiden. Ich selbst hatte gerade meine letzte Klausur des Wintersemesters hinter mir. Für die Prüfung konnte ich zwischen zwei Terminen wählen – Ende Februar oder März. Im Nachhinein bin ich froh, mich für den Ersttermin entschieden zu haben. Denn der zweite Termin hat nie stattgefunden. 

Die rasche Verbreitung des Coronavirus überraschte im Frühjahr nicht nur Wirtschaft und Politik, sondern auch die deutschen Hochschulen. Meine Mitstudierenden und ich haben aus nächster Nähe erlebt, wie die Universitäten in den Krisenmodus schalteten. Auf die erste Rundmail folgte am 13. März die zweite: Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW hat den Vorlesungsbeginn vom 6. April auf den 20. April verschoben. Von da an kamen neue Nachrichten im Fünf-Tage-Takt. 

Der E-Mail-Betreff „Coronavirus“ änderte sich schnell zu „Coronakrise“. Ende März wurde entschieden, dass die Lehre zunächst Online durchgeführt wird. Für wie lange, war unklar. Klar war nur: Wollten wir trotz widriger Umstände unser Studium nicht vernachlässigen, brauchten wir viel Eigeninitiative. Und schnelle Antworten auf die Fragen, die auch in diesem Wintersemester wieder relevant werden.

Soll ich zurück zu den Eltern ziehen?
Als mir bewusst war, dass wir nicht mehr auf dem Campus lernen würden, stellte ich mir zuerst eine Frage: Brauche ich mein WG-Zimmer dann überhaupt noch oder sollte ich wieder zu meiner Familie in die Heimat ziehen? Schließlich entschied ich mich, vorübergehend bei meinen Eltern einzuziehen und von da aus die Vorlesungen Online wahrzunehmen. Das hatte viele Vorteile: Ich musste nicht mehr selbst einkaufen, keine Miete bei meinen Eltern zahlen und fürs Kochen und Putzen war ich auch nicht mehr verantwortlich. 

Die Lernbedingungen waren also optimal. Für die Vorlesungen habe ich mich in mein ehemaliges Kinderzimmer an den großen Schreibtisch gesetzt. Mit deutlich mehr Platz als im engen Hörsaal. Doch besonders die soziale Komponente des Studiums leidet unter der Distanz. Meine Kommilitonen sah ich von heute auf morgen nur noch auf Handy- und Computerbildschirmen. Wir merkten schnell: Sich hin und wieder über WhatsApp oder Skype auszutauschen, ist längst nicht dasselbe wie im Hörsaal nebeneinanderzusitzen. Und gemeinsam über schwierige Aufgaben nachzudenken oder für Klausuren zu lernen, fällt deutlich leichter, wenn man im gleichen Raum sitzt. 

Wann und wie besuche ich die Online-Vorlesungen?
Vielleicht hätte ich mir vor dem Onlinesemester eine Ausgabe des Buchs „Bachelor of Time“ von Tim Reichel kaufen sollen – es hätte mir vermutlich geholfen. Reichel ist Studienberater an der RWTH Aachen und Geschäftsführer des Fachverlags Studienscheiss, in dem auch sein Ratgeber zum Zeitmanagement erscheint. Wenig verwunderlich: In diesem Sommer sei die Nachfrage stark angestiegen. Die erste Lektion, die Reichel vermittelt, ist so simpel wie einleuchtend. Jeder muss für sich die richtige Methode finden, um seine Zeit zu managen. Es gibt kein Patentrezept. 

Für manche ist es sinnvoll, den Vorlesungstermin in der sonst üblichen Zeit wahrzunehmen und sich an der festen Struktur zu orientieren. Für andere ist eine Strategie sinnvoller, die ich selbst auch angewendet habe: Ich stellte mir meinen Stundenplan deshalb so zusammen, dass es meinem eigenen Tagesrhythmus entsprach. Meistens habe ich mir alle Vorlesungen vormittags angehört, damit ich ab dem Nachmittag frei hatte. Das ging problemlos, weil unsere Professoren ihre Vorlesungen so ins Netz stellten, dass ich sie zu jeder Zeit abrufen konnte. Nur beim Zeitraum musste ich aufpassen. Einige aufgezeichnete Vorlesungen waren das gesamte Semester abrufbar – auch direkt vor der Klausur. Andere hingegen nur wenige Tage. 

So konnte ich mein Programm völlig selbst bestimmen. Grundsätzlich ein großer Vorteil, denn nicht alle sind zu jeder Tageszeit gleich produktiv, manche konzentrieren sich in den Abendstunden besser, andere früh morgens. So kann jeder die Vorlesungen zu den bevorzugten Zeiten hören. Und wenn man etwas verpasst, ist das auch nicht schlimm: Wir konnten uns jede Vorlesung mehrmals anschauen. So schrieb ich in der ersten Runde in Ruhe mit und hörte bei der zweiten Sicht genauer hin. Auch Tim Reichel empfiehlt das. „Die Videos sind keine YouTube-Tutorials“, sagt Reichel, „Es reicht nicht, sie nur einmal anzusehen.“ Das heißt: Sie müssen nachbearbeitet werden. In der regulären Vorlesung mit Präsenz muss beides gleichzeitig passieren.

Wie strukturiere ich meinen Tag?
Um das angestrebte Pensum bis zum Ende des Semesters zu schaffen, empfiehlt der Studienberater, für jeden Wochentag einen Plan zu erstellen. Statt einer To-Do-Liste, die eher einer wilden Stichwortsammlung gleicht, empfiehlt er die Ivy Lee Methode. Der Produktivitätsexperte Ivy Lee erdachte sie vor mehr als 100 Jahren. Seitdem nutzen nicht nur vielbeschäftigte Manager sie, um ihren Terminkalender im Griff zu haben – warum also nicht auch Studierende wie ich? 

Im ersten Schritt wird eine Liste mit den wichtigsten Aufgaben für den Tag erstellt. Zum Beispiel sollten Vorlesungen vor den dazugehörigen Übungen angeschaut werden. Außerdem haben die Videos Vorrang, die nur befristet verfügbar sind. Die Anzahl der To-Dos orientiert sich dabei an der individuellen Leistungsfähigkeit und Komplexität der Aufgaben. Wenn der Plan eine schwierige Vorlesung beinhaltet, sollte die besser in Ruhe zweimal angehört werden, statt noch eine weitere zu erledigen. Es kommt nicht auf die Quantität, sondern Qualität an. Also: Empfindet man eine Aufgabe als besonders schwer, nimmt man sich sonst nichts vor. 

Anschließend werden die Aufgaben nach der Wichtigkeit geordnet. Zunächst bearbeitet man die Aktivität mit der höchsten Priorität und blendet die anderen Tagespunkte aus. Ist diese erledigt, rät Reichel dazu, diese zu reflektieren und sie von der Liste zu streichen oder eine neue, daraus folgende Aufgabe zu erstellen. Diesen Vorgang wiederholt man dann bei den nächsten Stichpunkten. „Durch die Methode verschwendet man keine Zeit mit Kleinigkeiten“, begründet Reichel.

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