Bei der Hauptversammlung hat Continental-Chef Elmar Degenhart versucht, Hoffnung zu verbreiten. Keine einfache Botschaft angesichts der Lage seines Konzerns und der ganzen Autobranche.
Es war ein düsteres Bild der nahen Zukunft, das Elmar Degenhart, der Vorstandsvorsitzende von Continental, am Dienstag auf der Hauptversammlung präsentieren musste. Eines, auf dem Leid und Entbehrungen gezeigt werden – und doch auch ein Hoffnungsschimmer für den Autozulieferer.
Die zurückliegenden drei Monate von April bis Ende Juni seien das „historisch schwächste“ Quartal der Autoindustrie seit 1945 gewesen, sagte Degenhart. Und, dass man„ jetzt mit einem sehr schwierigen dritten Quartal“ rechne. Für das zweite Jahresviertel mit einem wochenlangen Produktionsstopp hatte Conti bereits einen Verlust angekündigt. Genauere Prognosen für das Gesamtjahr 2020 sind dem 61-jährigen Degenhart zufolge nach wie vor nicht möglich. Voraussichtlich gingen der Branche Milliarden verloren.
Eine echte Neuigkeit ist das nicht, die gesamte Autobranche – ohnehin vom Strukturwandel schwer getroffen – leidet massiv. Die Coronakrise verschärft die Probleme und bestraft die Fehler der Vergangenheit. Die Folge für den Zulieferer: Continental rechnet bei Pkw und leichten Nutzfahrzeugen in diesem Jahr mit einer weltweiten Produktion von höchstens 70 Millionen Stück. Im Vorjahr waren es knapp 89 Millionen. „Vergleichbare Einbrüche gab es zuletzt in der großen Krise um 1930“, referiert Degenhart. Der Konzern aus Hannover hängt mit der Autozulieferung und der Erstausstattung mit Reifen direkt vom globalen Produktionsvolumen ab.
Natürlich verkündet der Conti-Chef Gegenmaßnahmen, mit denen er der Krise begegnen will. Die Ansage lautet: „Wir sichern uns ausreichend flüssige Mittel“. Darum sollen die Investitionen runtergefahren werden – im Vergleich zum Vorjahr um mindestens ein Fünftel. Über ohnehin geplante Kosten-Kürzungen von 500 Millionen Euro brutto jährlich hinaus will Conti zusätzlich mehrere Hundert Millionen Euro sparen. Der Kreditrahmen bei den Banken wurde erhöht, weitere Anleihen bereits im Mai und Juni platziert. Zudem schlägt die Conti-Führung eine Dividende von drei Euro je Aktie vor. Das sind 1,75 Euro weniger als zuvor.
Für viele Arbeitnehmer ist der Kostendruck bitter und für manche dürfte es auch noch bitter werden. Conti steckte schon vor der Coronapandemie in einem großen Umbruch, dem weltweit Tausende Stellen im bevorstehenden Jahrzehnt zum Opfer fallen könnten. So läuft etwa in Deutschland und Westeuropa über mehrere Jahre die Produktion von Hochdruckpumpen und Injektoren für Verbrenner aus. Auch Anzeige- und Bedienelemente sind betroffen. Im Zuge des 2019 beschlossenen Konzernumbaus trennte sich Continental bislang bereits von rund 2000 Beschäftigten. „Wir haben bis jetzt rund 3000 Arbeitsplätze weltweit verändert. Davon haben zwei Drittel die Firma verlassen“, sagte Degenhart auf der virtuellen Hauptversammlung. Darüber, dass Degenhart Kündigungen auch als Folge des Corona-Schocks für „sehr sehr wahrscheinlich“ hält, hatte die WirtschaftsWoche bereits im Juni berichtet.
Die Corona-Krise ließ die schwächelnde Autokonjunktur einbrechen. Continental prüft deshalb wie alle Unternehmen der Branche weitere Einsparungen. Angestrebt würden mehrere Hundert Millionen Euro zusätzlicher Kostensenkungen bis 2022, sagte Degenhart. Gespräche mit Betriebsräten über Personalkostensenkungen liefen, über Details solle so schnell wie möglich informiert werden. „Dabei sind betriebsbedingte Kündigungen für uns das letzte Mittel“, ergänzte der Conti-Chef. Die Zweite Vorsitzende der IG Metall und Vize-Aufsichtsratschefin von Continental, Christiane Benner, forderte eine Strategie, die Beschäftigung bestmöglich sichere. „Der Dreisatz, aus einem Umsatzrückgang einen entsprechenden Personalabbau zu berechnen, ist definitiv zu kurz gesprungen.“
Auch Prestigeprojekte wie das Joint Venture mit Osram stehen auf dem Prüfstand, müssen vielleicht aus Kostengründen gestrichen werden. All das spiegelt der Aktienkurs wider: Die Continental-Aktie notiert am Montagmittag bei über 87 Euro. Das ist zwar deutlich vom Jahrestief bei 51,88 Euro entfernt, aber auch vom 52-Wochen-Hoch bei 132,92. Die Zeit des Rekordwerts von knapp 250 Euro wirkt ohnehin wie eine verblasste Erinnerung – dabei ist das gerade einmal zweieinhalb Jahre her.
Continental sitzt nicht allein in der Patsche. Fast allen Autobauern und ihren Zulieferern geht es ähnlich. In der jüngsten Folge des WirtschaftsWoche-Podcasts „Chefgespräch“ räumt Elring-Klinger-Chef Stefan Wolf auch mit Blick auf den eigenen Aktienkurs ein: „Unsere Branche ist im Moment am Kapitalmarkt und bei den Anlegern nicht besonders sexy.“
Ein Trost ist das Leid der anderen für das Conti-Management kaum. Denn Corona ist nicht allein schuld an der Misere. Das weiß Degenhart nur zu gut. Schon mit dem Abschneiden im Jahr 2019 sei der Konzern „nicht zufrieden“. Konkret heißt das: Der Umsatz fiel im Vergleich zum Vorjahr um 2,8 Prozent. Beim operativen Ergebnis stand „zum ersten Mal nach zehn Jahren kein Plus“, sondern ein Minus von 268 Millionen Euro. Und das Konzernergebnis lag nach Abschreibungen auf frühere Unternehmenskäufe und Restrukturierungskosten gar bei minus 1,2 Milliarden Euro.
Wo es noch kriselt
Und noch ein Schatten der jüngeren Vergangenheit liegt auf Continental. Vor wenigen Tagen erst hat die Staatsanwaltschaft in ihren Ermittlungen zum Diesel-Abgasskandal von Volkswagen mehrere Standorte des Autozulieferers durchsucht. Die WirtschaftsWoche hatte zuerst darüber berichtet. Geprüft wird, ob Mitarbeiter der früheren Siemens-Autotechnik-Sparte VDO – von Conti 2007 übernommen – möglicherweise den Auftrag für die Motorsteuerung der 1,6-Liter-Ausgabe des späteren Skandal-Dieselmotors EA 189 in dem Wissen annahmen, dass VW damit betrügerische Absichten verfolgte. Continental versichert, „an keinen unserer Kunden Software zum Zweck der Manipulation von Abgastestwerten geliefert“ zu haben. Doch die Untersuchungen kommen für den Konzern zur Unzeit.
Neben den harten Kennzahlen und Fakten zeigt noch ein weicherer Indikator, dass Continental aufpassen muss. Im Beliebtheitsranking der deutschen Arbeitgeber ist der Konzern gefallen. Um ganze vier Plätze. Deutlicher noch als manch anderer Konzern der Autobranche. Rund 47.000 Studierende wurden für das Ranking befragt, bei welchen Arbeitgebern sie am liebsten nach dem Hochschulabschluss einsteigen würden. Wie soll ein Konzern die Wende schaffen, wenn es schwieriger wird, die besten Nachwuchskräfte anzuziehen?
Und wie geht der Conti-CEO mit all den schlechten Nachrichten um? Er beschwört den Kampfgeist der Mitarbeiter. Schon zu Beginn von Degenharts Rede für die Hauptversammlung fällt das Wort „Talsohle“. Das klingt so schön nach etwas, das sich leicht durchschreiten lässt; nach dem es wieder steil bergauf geht. Später heißt es zu Contis „Gewinner-Mentalität“: „Wir spielen auf Sieg. Wir suchen immer die Chancen. Wir sind positiv eingestellt. Wir verändern uns gern.“ Die Kernbotschaft: Der Continental-Chef glaubt weiter fest an einen Wandel hin zu vernetzt, autonom und umweltfreundlich fahrenden Autos, will sich trotz geringerer Investitionen darauf einstellen. Und am Ende als Sieger vom Platz gehen.
Es wird sich zeigen, wie gut Degenhart das gelingt. Für den klaren, umsichtigen Kurs, mit dem er sein Unternehmen durch die frühe Phase der Coronakrise manövrierte, hat Elmar Degenhart viel Lob erhalten. Ausruhen darauf kann er sich nicht.